In Japan ist Esperanto erstaunlich weit verbreitet. Dies ist zu einem gewissen Teil auf Vorbehalte gegenüber der kulturellen Hegemonie Amerikas nach dem 2. Weltkrieg zurückzuführen, viel mehr aber noch auf die Tatsache, dass Onisaburo Deguchi, der Gründer der Oomoto-kyo Religion, dem Esperanto ab 1923 einen festen Platz in seiner Lehre gegeben hat. Die „innere Idee“ des Esperanto, alle Völker der Welt friedlich miteinander zu verbinden, passte in den Augen Deguchis sehr gut zu den Idealen seiner eigenen Lehre. Infolgedessen sind die Angehörigen von Oomoto dazu aufgerufen, zumindest Grundkenntnisse des Esperanto zu erwerben. Konsequenterweise sind die gesamte Homepage von Oomoto und alle wesentlichen Publikationen auch in Esperanto verfügbar. Darüber hinaus engagiert sich Oomoto in einer „Gesellschaft zur Popularisierung des Esperanto“ (Esperanto-Populariga Asocio: EPA) und hat im Rahmen des Esperanto-Weltbundes (UEA) einen Kulturpreis gestiftet, den mit 2000 Euro dotierten „Premio Deguchi“. Der Preis ist ausgeschrieben „für Aktivitäten, die durch Esperanto die internationale Freundschaft und Solidarität voranbringen“. Er wird alljährlich durch den Vorstand der UEA verliehen. Viele Esperantisten aus der ganzen Welt haben durch Esperanto in Japan unvergessliche positive Erfahrungen gemacht, weil sie von japanischen Esperanto-Sprechern im ganzen Land freundschaftlich aufgenommen wurden. Und das hat sich bis heute nicht geändert. Morihei Ueshiba war Deguchi erstmals 1919 begegnet, als er auf der Rückreise von Hokkaido (dort hatte er ein landwirtschaftliches Siedlungsprojekt geleitet) an das Sterbebett seines Vaters einen Zwischenstop im Oomoto-Hauptsitz in Ayabe einlegte. Diese Begegnung hatte einen tiefen Eindruck auf ihn, der Anlass dazu gab, eine völlig neue Richtung einzuschlagen. Ueshiba wurde ein glühender Anhänger von Oomoto und verlegte seinen Lebensmittelpunkt nach Ayabe, wo er bald begann, andere Gefolgsleute im Daito-Ryu zu unterrichten. Als sich Deguchi 1924 entschloss, einen abenteuerlichen Zug durch die von Japan okkupierte Mandschurei zu unternehmen, um seine Ideale dort zu verwirklichen, fiel die Wahl des Leibwächters konsequent auf Morihei Ueshiba. Er gehörte so zu dem kleinen Kreis der Getreuen, die Deguchi begleiteten. Die Mission endete aufgrund der unüberschaubaren Bedingungen in der Mandschurei in einem Debakel, und die reisende Gruppe konnte nur durch eine japanische Militärintervention aus den Händen eines chinesischen Warlords befreit werden.
Deguchi (2.v.l.) und Ueshiba (3.v.l.) als Gefangene in Mandschukuo
Die enge Verbindung der beiden begann sich erst 1929 zu lockern, als Ueshiba ein Dojo für seine eigene Kunst in Tokyo eröffnen konnte. Demjenigen, der sich detaillierter für die Verflechtungen in den Biografien von O Sensei und Deguchi interessiert, sei die Biografie „Abundant Peace“ von John Stevens empfohlen (ISBN 0-87773-350-3 ).
Onisaburo Deguchi und Morihei Ueshiba
Es ist offensichtlich, dass die Anschauungen von Oomoto einen erheblichen Einfluss auf die Philosophie des Aikido hatten. Eingedenk dieser engen Verbindung ist die Frage interessant, ob O Sensei selbst womöglich Esperanto-Kenntnisse hatte. Anlässlich einer Feier zum 20-jährigen Jubiläum der Association Culturelle Suisse d’Aikido (ACSA) 1989 in Basel (Schweiz) dazu befragt, antwortete O Senseis Enkel Moriteru Ueshiba, der jetzige Doshu, recht salomonisch: „Kann sein.“ Jedenfalls stimmt die „innere Idee“ des Esperanto, die diese Plansprache maßgeblich als Instrument zur Förderung weltweiten Friedens betrachtet, auf hervorragende Weise mit der Absicht überein, in der O Sensei das wahre Aikido als friedensstiftende Kunst für die ganze Welt verstanden wissen wollte.